Abschliessende unwissenschaftliche Nachschrift zu den philosophischen Brocken
Aus dem Klappentext: "Unter dem bescheidenen Titel einer „unwissenschaftlichen Nachschrift" entfaltet Kierkegaard den ganzen systematischen Zusammenhang seiner Existenzphilosophie. Die Wahl des Pseudonyms Johannes Climacus erlaubt das Einblenden praller, lebensnaher, oft sogar bewußt trivialer Bilder und Typen aus der Alltagswelt; denn Existenzphilosophie heißt Philosophieren im ständigen Bezug auf konkrete Wirklichkeit. Um einen neuen Wahrheitsbegriff, um die Klärung der Grundkategorien ,,Subjektivität", ,,Wirklichkeit", „Existenz" und um die Entlarvung der lllusionen eines objektiven Denkens sowie der Scheinheiligkeit eines idyllischbürgerlichen Christentums geht es in dieser Schrift, die wie keine andere zum Wegweiser der modernen Existenzphilosophie wurde. „Hier wird der Mensch nicht als Spekulierender, sondern als Existierender erfaßt, und eben das verleiht dem so geist- und lebenssprühenden Werk seine immerwährende Aktualität." Der Bund, Bern "Mein Hauptgedanke war, daß man in unserer Zeit vermittels des vielen Wissens vergessen habe, was es heiße, zu existieren, und was Innerlichkeit zu bedeuten habe, und daß das Mißverständnis zwischen Spekulation und Christentum sich daraus erklären lassen müsse. Ich beschloß nun, soweit wie möglich zurückzugehen, um nicht zu früh zum Religiös-Existieren, geschweige denn zum Christlich-Religiös-Existieren zu kommen, und so Mißlichkeiten hinter mir zu lassen. Wenn man vergessen hatte, was es heißt, religiös zu existieren, dann hatte man wohl auch vergessen, was Menschlich-Existieren heißt: dies mußte also aufgedeckt werden. Vor allem aber durfte es nicht dozierend geschehen; denn in demselben Au´genblick würde das Mißverständnis den Erklärungsversuch wiederum zu einem neuen Mißverständnis benutzen, als wenn das das Existieren wäre, an einem einzelnen Punkte vielleicht etwas zu wissen zu bekommen. Wird es als ein Wissen mitgeteilt, so wird der Empfangende zu dem Mißverständnis veranlaßt, er bekomme etwas zu wissen, und dann sind wir ja wieder beim Wissen. Nur wer einen Begriff von der Zähigkeit des Mißverstehens hat, sich den mit größter Anstrengung geleisteten Erklärungsversuch zu assimilieren und doch das Mißverständnis zu bleiben, nur der wird auf die Schwierigkeit eines schriftstellerischen Werks aufmerksam sein, in dem man auf jedes Wort aufpassen und wo jedes Wort die Doppelreflexion durchmachen muß. Durch direkte Mitteilung über das Existieren und über Innerlichkeit würde man nur erreichen, daß sich der Spekulant wohlwollend der Sache annähme und einen mit hineinschlüpfen ließe. Das System ist gastfrei! Wie der Spießbürger, wenn er einen Ausflug in den Wald macht, weil auf dem viersitzigen Holsteiner noch Platz genug ist, Krethi und Plethi mitnimmt, ohne Rücksicht darauf, ob sie zueinander passen, so ist auch das System gastfrei - es ist ja Platz genug da. Ich möchte (hier) nicht verhehlen, daß ich Hamann bewundere, wenn ich auch gern einräume, daß der Elastizität seiner Gedanken die Gleichmäßigkeit und seiner übernatürlichen Spannkraft Selbstbeherrschung fehlt, falls er zusammenhängend hätte arbeiten sollen. Aber die Ursprünglichkeit des Genies ist da in seinen kurzen Worten, und die Prägnanz der Form entspricht ganz dem sprunghaften Herausschleudern eines Gedankens. Er ist mit Leib und Seele und bis zum letzten Blutstropfen in einem einzigen Wort zusammengefaßt, dem leidenschaftlichen Protest eines hochbegabten Genies gegen ein System des Daseins. Aber das System ist gastfrei! Armer Hamann, du bist von Michelet auf einen § reduziert worden. Ob dein Grab jemals besonders bezeichnet gewesen ist, weiß ich nicht; ob es jetzt niedergetreten ist, weiß ich nicht; aber das weiß ich, daß du mit teuflischer Macht und Gewalt in die §-Uniform gesteckt und in Reih und Glied eingeordnet worden bist." Sören Kierkegaard, Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift. In: ders., Gesammelte Werke (hg. E. Hirsch), Bd. 16, Gütersloh 1982, S. 242f. |